Wer ist Franz Josef Czernin? Der Preisträger des diesjährigen Ernst-Jandl-Preis für Lyrik heißt Franz Josef Czernin, das vorweg sollte ausreichen, um sich näher mit diesem Dichter zu beschäftigen. Czernin wurde 1952 in Wien geboren, beschäftigte sich früh mit Sprache und Dichtung, den Konventionen, Grenzen und Möglichkeiten eben dieser. Er kreuzte während seiner Entwicklungsphase in den 1970er Jahren auch den Weg von Ernst Jandl, dem berühmten Vertreter und Lichtgestalt der Konkreten Poesie. Das alleine stellt schon eine gute Voraussetzung dar, um den Ernst Jandl gewidmeten Preis zu erhalten, denn wie Czernin während der Preisverleihung selbst zum Ausdruck brachte, förderte ihn Ernst Jandl nicht nur mit Ratschlägen und Vorschlägen bei seinen ersten Schreibversuchen, sondern beeinflusste und bekräftigte sein Denken und Wirken darüber hinaus in einem nicht unerheblichen Ausmaß. Zahlreiche literarische Preise, die der seit 1978 als freischaffender Schriftsteller tätige Czernin im Laufe seines Lebens erhalten hat, bezeugen seine Wertschätzung innerhalb des literarischen Feldes, sein Ruf als „Inspiration und kritische Instanz“ wurde durch seinen Mut, sich stetig neue Bereiche zu erschließen, gefestigt. So finden sich in Czernin Werk nicht nur Gedichte, sondern zugleich Prosa, Theaterstücke, Essays, Aphorismen und nicht zuletzt auch Übertragungen bzw. Übersetzungen, gewissermaßen als „Dichter des Dichters“, in seinen Shakespeare Sonnets Ende der 1990er Jahre. Wie Thomas Poiss, Altphilologe aus Wien und Mitglied der Ernst Jandl Jury in seiner Laudatio über Czernin treffend formulierte, sei dieser Preis eine Auszeichnung für „die Infragestellung vorgeprägter sprachlicher Menschenbilder, in dem Fesseln abgestreift oder gesprengt werden können, wo keiner sie bislang bemerkt hat.“ Czernin und seine KollegInnen würden mit dieser sprachanalytischen Arbeit in diesem Sinne „anthropologische Grundlagenforschung betreiben.“ Czernin beschreibt im Album für den Ernst-Jandl-Preis die Bedingungen, „um ein Gedicht zu machen“. Er stellt die Frage, ob es „beim Lesen oder Schreiben von Gedichten vor allem um das Bezeichnen und Darstellen von Gegenständen gehen“ soll, sowie gemäß dem allgemeinen Anspruch an Literatur in Gedichten danach gesucht wird, welche Aussagekraft sie bzgl. menschlicher Beziehungen (Tod und Liebe) haben können. Czernins Verständnis von Literatur geht über die herkömmliche Zuordnung von Darstellung und Gegenständen hinaus. Es geht, wie er selbst formuliert, um die Darstellung der „Bezugs-Relationen“ von Wörtern und Sätzen, also jene Möglichkeiten, die zwischen den Wörtern stehen, die der Sprache und ihrem Bedeutungshorizont inhärent sind. Um diese Stufen und Möglichkeiten der Sprache in seinen Gedichten sichtbar zu machen, stellt er diese Bezugsrelationen zwischen sinnlicher Wahrnehmung (den Möglichkeiten der Darstellung) und deren Beziehung zu den Gegenständen bzw. worauf diese Bezug nehmen können dar. Eine Grundbedingung für diesen Prozess ist laut Czernin, „dass die sinnlichen wahrnehmbaren Komponenten der Sprache sich als eigenständige Kräfte (zumindest zu einigem Grad) entfalten können. Und eben das kann zum Beispiel dann geschehen, wenn die Laut- und Buchstabenfolgen […] über das statistisch erwartbare Maß geordnet sind und sich als eigenmächtiger Bereich der Betrachtung aufdrängen, in dem in Wörtern oder zwischen Wörtern andere Wörter gesucht und gefunden werden können.“ Die zweite Bedingung bezieht sich auf diesen Suchprozess beim Lesen, denn „gerade dass hier nicht ohne Weiteres Zusammenhänge gefunden werden können, kann die sinnlich wahrnehmbaren Komponenten des Gedichts als eigenständige Kraft wirksam werden lassen.“ Die dritte und vierte Bedingung bezieht sich auf diesen Weg des Suchens und Findens nach Möglichkeiten der Bedeutungszusammenhänge, wodurch schließlich eine neue Leseerfahrung und Lesehaltung eröffnet werden kann, indem in der Erprobung dieses Prozesses, die Bedeutung des eigenen Wissens, Gefühlen und Erkenntnisse, also wie wir die Sprache eines Gedichts zu Bedeutungen und Gegenständen in Bezug setzen, uns selbst sichtbar wird. Franz Josef Czernin ist ein Dichter, der uns diese verschiedenen Ebenen der Sprachbetrachtung, ihrer Wirkung, Grenzen und Vermittlung vor Augen führen will. In Thomas Poiss Worten, müsse man Franz Josef Czernin besonders für jene Momente auszeichnen, in denen sichtbar wird, wo unsere Sprache auf nicht sprachlichen Voraussetzungen beruht und wo die Bedeutung jener Wörter erkenntlich wird, die uns auf allen anderen Wegen unzugänglich geblieben wären. Und zumindest für einen Moment alles einleuchtend erscheint – vom Ursprung bis zum Ende. Gabriele Amann Quellen: · Ein Album zum Ernst-Jandl-Preis für Lyrik, um ein gedicht zu machen, hrsg. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, S. 8 – 18. · Eigene Aufzeichnungen im Rahmen der Preisverleihung. Formatierung Michael Reiter |
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